Gabriele Münter, geboren 1877 in Berlin, ist neben Paula Modersohn-Becker die prominenteste Künstlerin des Expressionismus in Deutschland. Über alle stilistischen Wandlungen hinweg zeugt ihr Œuvre von einer eigenständigen, kraftvollen Bildsprache und ihrer Fähigkeit, verschiedene künstlerische Stile zu vereinen.
In einer ihrer depressiven Phasen schrieb sie in ihr Tagebuch: „Ich war in vieler Augen nur eine unnötige Beigabe zu Kandinsky. Dass eine Frau ein ursprüngliches, echtes Talent haben, ein schöpferischer Mensch sein kann, das wird gern vergessen.“ Das wurde in der jüngeren Rezeptionsgeschichte gründlich korrigiert – und zumindest posthum ist es Münter gelungen, aus dem Schatten ihres früheren Lebenspartners herauszutreten.
Gabriele Münter entstammte einer von Pioniergeist und Freiheitswillen geprägten Familie, die in fast zwanzig Jahren in Amerika ein beträchtliches Vermögen aufbaute und 1864 nach Deutschland zurückkehrte. Mit ihrer zeichnerischen Begabung, die auch ihr Schaffen als Malerin bestimmte, entschied sie sich früh für ein unabhängiges Leben als Künstlerin. Staatliche Kunstakademien waren für Frauen noch verschlossen und so blieb ihr nur der Besuch von privaten Zeichenschulen. Nach einer kurzen Studienzeit in Düsseldorf unternahm sie von 1898 bis 1900 mit ihrer Schwester Emmy eine Reise zu ihren Verwandten durch die USA, die sie mit ihrer Kamera, einer Bull’s Eye No. 2, fotografisch dokumentierte. Dabei schulte sie auch ihren künstlerischen Blick für Perspektive, Ausschnitte und Situationen.
1901 zog Münter zum Studium der Kunst nach München und wurde Anfang 1902 Schülerin der neu gegründeten Phalanx-Kunstschule von Wassily Kandinsky. 1903 verbanden sich die beiden zu einer schicksalhaften Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Der berühmte Partner war für Münter Chance und Last zugleich. Durch ihn und sein künstlerisches Umfeld wurde sie entscheidend gefördert, doch stand sie zu ihren Lebzeiten auch stets in seinem Schatten. Dass er sein Heiratsversprechen nie einhielt, wurde für sie zur schweren Kränkung. Nach der Trennung 1915/1916 brauchte sie lange, um wieder auf die Beine zu kommen, doch malte sie weiter und stellte aus.
Ende 1921 erfuhr sie, dass Kandinsky noch lebte, nun verheiratet war – und sein bei ihr zurückgelassenes Eigentum zurückhaben wollte. Enttäuscht und verletzt widersetzte sie sich seinem Wunsch. Als Wiedergutmachung für sein gebrochenes Eheversprechen forderte sie von Kandinsky, ihr seine bei Kriegsausbruch in Bayern zurückgelassenen Werke zu überlassen. Am Ende einer langen und harten Auseinandersetzung willigt Kandinsky schließlich im April 1926 ein, wodurch ein bedeutender Teil seiner Arbeiten aus der Münchner Zeit in ihrem Besitz bleibt.
Sylvester 1927 lernte Gabriele Münter den Philosophen und Kunsthistoriker Johannes Eichner kennen, der nicht nur ihr Lebensgefährte wird, sondern künftig als ihr Agent ihre Ausstellungen organisiert und mit seinen Schriften das Bild Münters in der Kunstgeschichte anfänglich stark prägt.
Während ihres zweiten Aufenthalts in Paris Ende 1929 bis Mitte 1930 ließ sie sich von der Kunstszene in der französischen Hauptstadt inspirieren und mischte neusachliche mit expressiven Elementen. Es entstanden viele Bleistiftzeichnungen, z. B. zwanglos aufs Papier gebannte Szenen aus Pariser Cafés. Anschließend unternahm sie mit Johannes Eichner eine Reise durch Südfrankreich.
1931 zog Münter nach Murnau zurück und trat 1933, um weiter ausstellen zu können, in die „Reichskammer der bildenden Künste“ ein. Drei Jahre später nahm sie auf Eichners Drängen hin mit dem Bild „Der blaue Bagger“ (1935-1937) an der Wanderausstellung „Die Straßen Adolf Hitlers in der Kunst“ teil. Zwar wurde sie in der Zeit des Nationalsozialismus nicht verfolgt, doch wurde ihren Arbeiten sowohl von offizieller Seite als auch vom Publikum Unverständnis entgegengebracht.
Alarmiert durch den Erlass des „Gesetzes über die Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“ 1938 versteckte sie ihre umfangreiche Kunstsammlung, die vor allem die frühen Werke Kandinskys, aber auch Bilder von Franz Marc, Paul Klee und Alfred Kubin umfasste, in einem schwer zugänglichen Kellerraum des Murnauer Hauses. So gelang es ihr, einen unermesslichen Kunstschatz über die Zeit des Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg zu retten.
Münter entwickelte ihren eigenen künstlerischen Stil und gestaltete ihre Werke zunehmend autonom. In ihren Landschaften, Stillleben und Porträts spiegelt sich ihre Vielseitigkeit und Unabhängigkeit wider. Mit ihren Zeichnungen, Gemälden, Hinterglasbildern und Druckgrafiken schuf sie eine beeindruckende Bandbreite von Werken.
Gabriele Münters Autonomie in der Kunst und im Leben hat dazu beigetragen, dass sie heute als eine wegweisende Persönlichkeit in der Kunstgeschichte gilt. Sie war als Malerin eine Pionierin und gehörte zur ersten Generation von Frauen, die selbstbewusst als Künstlerin auftraten. Ihr Erbe zeugt von der Kraft der Selbstbestimmung und der Fähigkeit, eigene Wege zu gehen, in einer Zeit, in der Frauen in der Kunstwelt „Malweiber“ genannt wurden.